Lützschena vor 150 Jahren

(Weil Pfarrer Reichel im Jahr 1850 nicht so viel wie sonst in sein Tagebuch geschrieben hat, unterbreche ich die Reihe "Lützschena vor 150 Jahren" und schreibe seinen Bericht über den Tod der Gutsherrin aus dem Jahre 1836 hier ein.)
Niedergeschrieben am 16. März 1836
Mit trauervollem Herzen lege ich in diesem Buch die Nachrichten nieder, welche sich auf Tod und Begräbnis unserer hochverehrten Frau Charlotte Elisabeth, Baronesse von Speck-Sternburg beziehen.
Ein Nervenschlag machte am 9. März abends halb 8Uhr ihrem mehrmonatlichen Leiden plötzlich ein Ende und versetzte dadurch ihre teure Familie und Verwandtschaft, wie auch mich und meine Gemeinde, in die tiefste Betrübnis.
Bei der Sektion fand sich Wasser im Herzen und Bildung dreier Polypen (ihr Herz wird aufbewahrt). Sie ward ihrem Wunsche zufolge in der einfachsten Nachtkleidung (ohne allen Schmuck und irdische Herrlichkeit) in einen zinnernen Sarg gelegt, dieser vernietet und in einen bronzierten Pfostensarg gesetzt, und so am 12.März, Sonnabendabend, bei Fackelschein im Leipziger Leichenwagen gezogen von 4 hiesigen Rittergutspferden (Leittragende (?) der Familie folgten ihm) aus Leipzig abgeführt. Um 9 Uhr ging ich mit Kreuz zur Schule und Gemeinden (?) ihm bis zur Leutzscher Grenze entgegen. Wir sangen auf dem Rückweg: "Nach Prüfung kurzer Tage...". Als man abgebahrt hatte, ward der Sarg unter meinem Vortritt in die durch Altarkerzen erleuchtete Kirche getragen und blieb auf dem Altarplatz die Nacht über stehen, nachdem die Kerzen gelöscht und die innere Kirchentür von mir selbst verschlossen worden war. In der Vorhalle wechselten 2 Wachen ab. Die Witterung begünstigte den Fackelschein.
Sonntag, den 13. März. Vormittags, während ich Gottesdienst in Hänichen (wohin ich ihn Umstände wegen hatte verlegen müssen) hielt, ordneten die Leipziger Leichenkondukteure alles, legten das köstliche Leichentuch auf usw.. Um 2 Uhr begann die Begräbnisfeierlichkeit unter dem Läuten der Glocken von Lützschena und Hänichen in folgender Ordnung: 1. die Freirodaer Schulknaben mit ihrem beflortem Kreuz; 2. die Lützschenaer und Hänicher Schule mit ihrem gleichfalls umflortem Kreuz; 3. die beiden Schullehrer von Freiroda und Lützschena; 4. Pfarrer Friedrich von Freiroda und ich; 5. Neun Freirodaer und Lützschenaer Jungfrauen mit zwei atlassenen Kissen (Kränze darauf liegend); 6. die Leiche, der ein Paradeur vortrat.
Am Herrenhaus hielt der Zug, und wir Geistlichen holten die tiefgebeugten Leidtragenden ab, an die sich unsere Gemeinde anschloß. Lützschenaer und Freirodaer Nachbarn trugen, unterstützt von den Leipziger Herren, den schweren Sarg. Von der Kirche bis über die Herrenhausbrücke ward gesungen. Dann bliesen die Schkeuditzer Musizi voraus: "Jesus meine Zuversicht" bis zur Grabkapelle im Park; diese umzogen die Schule mit den Kreuzen, um die Weihe derselben symbolisch anzudeuten(nach Herrn Sup. Dr. Großmanns Anweisung), dann ward der Sarg in die Kappelle gebracht, während man blies. Hierauf sang unser Chor "Ruhig ist des Todes Schlummer" und nun weihte ich in kurzer Rede die Kapelle zu ihrer neuen Bestimmung. Darauf entfernte sich der Zug dem die Musica "Auferstehen, ja Auferstehen" nachbliesen, solange er sichtbar war. In der Kirche sang man 3 Verse von "Fürwahr, du bist, o Gott". Dann hielt ich die Leichenpredigt über Jes. 28.19. Thema: Unsere Klage und unser Trost beim Tode der vollendeten Gerechten, die wir beweinen.
1. klagen wir erstlich um die so früh Entschlafene, aber wir trösten uns auch: ihr Tod war Gottes Rat.
2. klagen wir ferner um die so bald uns Entrissene, aber wir trösten uns: des Höchsten Rat ist wunderbar.
3. klagen wir um die so schwer Geprüfte, aber wir trösten uns abermals, der Herr führt seinen wunderbaren Rat hinaus.
Damit verknüpfte sich noch der Lebenslauf der Entschlafenen. Nach dem Segen, den Pfr. Friedrich sprach und der Arie "Im Grabe ist Ruhe" drückte dieser sein Beileid aus und so ward die ernste, von Vielen besuchte Trauerfeierlichkeiten beschlossen.
P.S.: Über die Grabkapelle hat noch ein Ephoralschriftwechsel mit der höchsten Behörde (welche den Ausdruck "Kapelle" wörtlich nahm und an eine Privatkirche dachte) stattgefunden.
In der nächsten Ausgabe setze ich die Abschrift mit dem Ende des Jahres 1850 fort.

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