Der Schriftsteller Gunter Preuß
zur friedlichen Revolution von 1989 und ihren Folgen
Wir wissen, was in diesen
Oktober- und Novembertagen passiert ist der Zusammenbruch des „real
existierenden Sozialismus“; aber erfahren, das heißt begriffen und bewältigt
haben wir das längst noch nicht. Zu tief steckt der Karren im Dreck, zu geduckt
haben wir uns all die Jahre gehalten, zu wenig waren wir auf solch
einschneidende Veränderung vorbereitet, zu sehr gebrochen hatte man uns.
Wie reagiert ein Vogel, der
jahrelang im Käfig eingesperrt und mit dem Nötigsten zum Überleben versorgt
war, wenn ihm plötzlich die Käfigtür geöffnet wird?
Wagt er sich hinaus? Kann er denn noch seine vorzüglichste Eigenschaft das Fliegen gebrauchen?
1989
Durch mein Eintreten für
Biermann habe ich jahrelang unter Stasibeobachtung
gestanden, man hat mich in der Siedlung, in der ich wohne, mit Schmierereien, Verleumdungen
und Drohungen verunsichern wollen, aber andererseits habe ich zuvor auch
Förderung im Beruf erfahren und Unterstützung bei der Überwindung von
Krankheit. Ein kleiner Ableger der großen Paradoxie DDR. Während das Gesicht
der Gesellschaft schon deutlich
menschenfeindliche Züge gegen Andersdenkende bekam, habe ich dennoch in meinem
beruflichen wie privaten Lebensbereich – auch von SED-Funktionären –
Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft erlebt.
Ich war also weder ein
Untergrundkämpfer noch ein Angepasster. Ich war auch keine von diesen grauen
Mäusen in weißer Weste, die durch Rückgratverkrümmung alle Vorteile der
Parteidiktatur in Anspruch nahmen und sich
zusammen aus allem heraushielten. Heute fühlen sie sich als
Gerechtigkeitsapostel und Vergangenheitsbewältiger berufen. Die eigene
Vergangenheit ist ihrer chronischen Vergesslichkeit zum Opfer gefallen. Dem
einen bin ich zu links, dem anderen zu rechts geraten; nur hinbiegen können sie mich nicht. Ich
zähle mich zu den Narren. Die für ihr Krummsein geradestehen und denen man
keine Hemmschwelle nachsagt, wenn sie auf den nackten König zeigen. In der
Realität sind Ideale Flüchtlinge, und dem einen und anderen möchte ich ein
Zuhause verschaffen.
1991
Heute könnte man sich über so
manches Beispiel von Zensur in der DDR vielleicht ein Lachen abringen, wenn
einem nicht so viel Altes und Bekanntes frisch geschminkt und in neuem Gewande
begegnen würde. Die alle Lebensbereiche beherrschende Zensur des freien
Marktes, die nach strengen Regeln von Angebot und Nachfrage arbeitet, ist
letztendlich auch politisch gesteuert. Alles ist dem Geld, dem Verkauf und dem
Kauf unterworfen, neben den Dingen müssen sich Menschen verkaufen, die
Verpackung scheint wichtiger als der Inhalt. Auch der Künstler muss fragen, was
gefragt ist. Erfolge werden gemacht. Money, money, money! Die einen kassieren für gelungene Aufschläge eines
Tennisballs Millionen, die anderen enden geschlagen im Dreck der Straße. Nach den bis zur Entstellung praktizierten Sozialismusideale
nun Ideale vom Wühltisch. Im Geschrei der Schlagzeilen werden Rufer und Mahner
nicht mehr gehört. Es gibt eine Riesenauswahl von bunten Bildern, die passend
für jeden Spiegel zugeschnitten und täglich zu wechseln sind. Alles ändert
nichts. Dort, wo neue Wahrheiten auf alte Irrtümer aufgepfropft werden, fällt
das Laub, bevor Blüten treiben und
Früchte reifen können. Es will eben keiner werden, aber jeder will sein. Staat
Wandel wandeln wir weiter.
1993
In meinem im Wendetrubel erschienenen
autobiografisch gefärbten Roman „Briefe an die Geliebte“ habe ich den
Niedergang des Kommunismus in der DDR zu gestalten versucht, Bei den Leipziger
Demos war ich dabei, ohne recht ermessen zu können, wo das hinauslief. Ich
wusste nur: Nichts bleibt, wie es ist, oder es stirbt. Die Wiedervereinigung –
in dieser Zeit schwer krank – habe ich dann eher begrüßt, die ganzen
Selbständigkeitsgespinste eines zweiten deutschen Staates waren nicht
lebensfähig. Nun kam ja die Zeit für die Vergangenheitsrichter, auch in den
Künstlerbänden, für Leute, die früher vor Partei und Staat duck mauserten und
nun die Widerständler spielten und andere aburteilen wollten. Widerlich und
gefährlich, was da nach Umbrüchen und Revolutionen nach Erfolg und Macht
drängt.
1994
Auszüge aus dem Buch des Autors „Rufe in die Wüste“
–Aufsätze und Interviews von gestern und heute –
Projekte-Verlag Cornelius GmbH, Halle 2009
Wir danken Gunter Preuß für die Genehmigung der
Textveröffentlichung im „Auen-Kurier“