Pfarrer aus Amerika in Lützschena

Schon 2014 kündigte Pfarrer Voigt den Mitgliedern seiner evangelisch-lutherischen Sophienkirchgemeinde (Lindenthal mit Breitenfeld, Lützschena, Möckern und Wahren mit Stahmeln) an, dass er im August 2015 mit seiner Familie für einige Zeit nach Amerika gehen wird. Im Austausch sollte ein Pfarrer aus Amerika hier arbeiten. Nun ist der Austausch noch nicht ganz vollzogen. Denn Pfarrer Voigt ist überraschend erkrankt und wird erst später den geplanten Aufenthalt in Amerika vornehmen. Aber wie das so ist: der Austauschgedanke ist sehr gut. Denn jetzt ist der Pfarrer aus Amerika tatsächlich auch nötig, solange Pfarrer Voigt krank ist.
Alle Kirchenmitglieder waren gespannt auf den neuen Pfarrer. Wie ist er denn? Er ist schlank, nicht mehr ganz jung (über 60 Jahre alt), wirkt aber viel jünger, er ist sportlich (fährt viel Fahrrad in der Umgebung), elegant und spricht hervorragend deutsch. Auch nicht der Kirche angehörende Bürger konnten Pfarrer Morris Wee, der aus Minnesota (Nordamerika) kommt, beim Schlossparkfest Lützschena am 06.September 2015 kennenlernen. Die erste Predigt hielt Pfarrer Wee am 20.September in den Kirchen Möckern und Wahren, alle zuhörenden Mitglieder waren sofort von ihm angetan.
Pfarrer Wee hat eine interessante Lebensgeschichte hinter sich. Er hat schon in seiner Schulzeit die deutsche Sprache erlernt und hatte Interesse für Kultur, Literatur und Musik, wie sie in Deutschland gepflegt wird. Aber sein Studium war zuerst die Mathematik. Später interessierte er sich mit der kulturellen Anthropologie, studierte in 1968 sechs Monate in der Nähe von Stuttgart, und hat 1972 drei Monate für die Evangelische Kirche im Westen Deutschlands gearbeitet. 1970 hatte es ihm die englische Literatur angetan. Er wirkte neun Jahre als Professor für englische Literatur an mehrere Universitäten. Durch sein abgeschlossenes Studium der Mathematik konnte er Vergleiche ziehen in der experimentellen Psychologie und studierte Psychologische Philosophie und Theologie. Kurz gesagt: er ist ein sehr kluger, des Lebens erfahrener und lebensbejahender Mensch. Er ist seit vielen Jahren verheiratet. Seine Frau hat Theologie studiert und betreut eine Pfarrgemeinde in Amerika. Die bereits erwachsenen drei Söhne haben von den Eltern das mathematische und literarische Talent geerbt. Sie sind selbständig, gehen ihren eigenen Weg, sind noch nicht verheiratet und so sind Pfarrer Wee und seine Frau noch nicht Großeltern.
Wie kam der Pfarrer-Austausch zustande? Seit 20 Jahren gibt es Verbindungen zwischen der evangelischen Kirche in Leipzig und Minnesota. Mehrere Jahre kam es zu Begegnungen zwischen jungen Studenten und der Diakonie und Musikern sowohl in Leipzig als auch in Minnesota. Pfarrer Wee begleitete zweimal die jungen Leute. Seine Frau war vor 1,5 Jahren ebenfalls für eine Woche in Leipzig und lernte Pfarrer Voigt kennen. Gemeinsam diskutierten sie den Austausch von Pfarrern. Dieser Austausch ist erstmalig in Sachsen, also Pfarrer Wee ist der erste amerikanische evangelische Pfarrer, der hier tatsächlich die Kirchgemeinde vertritt.
Aber so einfach ist der Austausch trotzdem nicht. Die Struktur der Kirche in Amerika ist anders als in Deutschland. Kirche und Staat sind getrennt. Der Staat lässt alle Glaubensrichtungen zu, aber finanzieren müssen sich die Kirchgemeinden selbst. Jede Kirchgemeinde bezahlt ihren Pfarrer und sorgt selbst für Kirchgebäude und jeden Besitz. Die Kirche pflegt eine gute soziale Kompetenz, für den Glauben in der Gemeinschaft gibt es viel Interesse
In Amerika sagen vielleicht 80%, dass sie an Gott glauben. Nur 30-40% sind aktive Mitglieder in den Kirchen. Die Kirchbesucher geben in der Kollekte nach dem Gottesdienst etwa 20% mehr als die Kirchbesucher in Deutschland. Alle Gläubigen in Amerika haben viel Verständnis für anders Gläubige.
Durch die finanzielle Struktur der amerikanischen evangelischen Kirche gab es Probleme mit der Freistellung für Pfarrer Wee, der ja bisher von seiner Kirche bezahlt wurde. Er hat dann entschieden, dass er ab August 2015 in Pension gehen würde, und damit konnte der Austausch beginnen. So ist er nun hier.
Pfarrer Wee muss sich in Leipzig an bestimmte Regeln halten, die von der evangelischen Landeskirche Sachsen bestimmt sind. Die Predigten sind in Themen vorgegeben, aber der Pfarrer kann variieren und sein Wissen und seine Erfahrungen zur Sprache bringen. Pfarrer Wee hatte anfangs Bedenken, ob seine deutsche Sprache ausreicht, um die Gläubigen zum Nachdenken zu bringen. Aber das ist inzwischen bewiesen. Seine Predigten und seine Gepflogenheiten werden wissbegierig aufgenommen. Die Jugendlichen des diesjährigen Konfirmandenunterrichts sind voll begeistert.
Alle Mitglieder der Sophienkirchgemeinde Leipzig wünschen Pfarrer Wee alles Gute und bedanken sich jetzt schon für seinen aktiven Aufenthalt hier. Alle hoffen auch, dass er schöne Erlebnisse in unserer Stadt hat und sein reicher Erfahrungsschatz nur durch positive Gegebenheiten von hier noch größer wird.

Mit Herrn Pfarrer Wee unterhielt sich Frau Dr. A. Neumann vom Auen-Kurier.