Ein Flugplatz in Lützschena-Stahmeln?

Diese Frage mag manchem komisch erscheinen, aber sie ist berechtigt, denn es gab tatsächlich auf dem Gebiet unserer Ortschaft vor 100 Jahren einen solchen. Eigentlich lag er in einm Teil der Gemarkung Lindenthal, diese ist aber mit der Gemeindegebietsreform zu Lützschena-Stahmeln gekommen. Man muss ihn aber nicht verwechseln mit dem Flugplatz Lindenthal, der am 16. April 1911 als zweitältester Platz nach Berlin-Johannisthal offiziell für Motorflüge zugelassen wurde. Mit einer Fläche von 300 x 1.200 m befand er sich südöstlich des Alten Ortskerns, also südlich der "Lindenthaler Hauptstraße" und des Gartenwinkels und westlich drer Straße nach Gohlis, jetzt "An der Hufschmiede". Heute ist die Fläche überbaut mit einem Wohngebiet und nur solche Straßennamen wie "Am alten Flugfeld" und "Oswald-Kahnt-Ring" sollen an den Flugplatz erinnern.

Nun muss ich eingehen auf den Ingenieur Erich Thiele (1884 – 1929), der bereits 1909 mit seinem Bruder auf einem Leipziger Sportplatz Flugversuche unternahm. Er besaß dort zwei Hallen, in denen er einen Gleiter und ein Flugzeug mit einem 50 PS-Motor unterstellte. Auf der Suche nach einer größeren Fläche fanden sie diese mit Billigung der Sächsischen Militärbehörde auf dem Exerzierplatz westlich des Tannenwaldes Lindenthal, wo sie sich am Rand ansiedelten. Bei der Entwicklung seiner Flugzeuge wurde Thiele finanziell untetstützt von Leipziger Verleger Bernhard Mayer (1860 – 1917). Am 6. Juli 1910 legte er auf dem Flugplatz Griesheim bei Frankfurt/M. auf einem Euler-Doppeldecker die Flugprüfung ab und erhielt das deutsche Flugzeuführerpatent Nr. 13. Sein Fluglehrer war kein geringerer als August Euler (1868 – 1957). Im März 1911 gründeten Meyer und Thiele die Sächsischen Flugzeug-Werke in Lindenthal bei Leipzig, die im November 1911 umbenannt wurden in Deutsche Flugzeug-Werke (DFW) .Er wurde ihr technischer Leiter, eröffnete im gleichen Jahr die DFW-Fiegerschule und gewann als Fluglehrer dafür die Piloten Franz Büchner, Eugen Wiencziers und Heinrich Oelerich. Die Deutsche Flugzeug-Werke GmbH, abgekürzt DFW, war im Ersten Weltkrieg einer der wichtigsten deutschen Flugzeughersteller. Produziert wurden u.a. das Schul- und Übungsflugzeug Mars 13, später vor allem Aufklärungs-flugzeuge für die Heeresflieger der Armeen des deutschen Kaiserrreiches, danach auch Riesen-flugzeuge wie der Bomber DFW R III. Der Flugplatz wurde gebraucht, um die neuen Flugzeuge vor ihrer Auslieferung einzufliegen (Überprüfung der Flugeigenschaften und -leistungen, Justieren der Bordinstrumente und Einstellen der Steuerelemente) und die Piloten auszubilden, die mit den Maschinen für den Kaiser und das Vaterland zum Feindflug starten sollten.

Die Existenz des Flugplatzes ist belegt durch die "Dienstanweisung der Militär-Fliegerschule Leipzig-Lindenthal" aus dem Jahr 1915, die sich in der Universitätsbibliothekb Potsdam befindet. Sie enthält mehrere kurze, handschriftliche oder mit der Schreibmaschine getippte Kapitel über allgemeine Verhaltensregeln, Unterbringung der Flugschüler, Verhalten im Dienst, Verhalten außer Dienst, Verhalten gegen Kameraden und Vorgesetzte, Verlassen des Flugplatzes, Bestrafungen, Abgang von der Schule. Außerdem sind enthalten eine Hausordnung und eine Flugordnung, ein Lageplan des Flugplatzes, ein technischer Ausbildungsplan, Bestimmungen für Flugschüler, Prüfungsbestimmungen sowie ein Kapitel Buchführung für den Flugschulbetrieb.

Besonders interessant ist der Lageplan des Flugplatzes. Nicht so wie allgemein üblich ist die Karte nicht eingenordet, sondern steht auf dem Kopf. Deshalb sieht man am oberen Bildrand Lindenthal, unten aber Radefeld und Freiroda. Neben der Spitze des Tannenwaldes, wo jetzt die Großmarkthalle steht, sind die Gebäude des DFW und Flugzeugschuppen eingezeichnet. Einzelne Häuser, die noch bis in die 80-er Jahre dort standen, wurden bis vor Kurzem von den Einheimischen "Fliegersied-lung" genannt, obwohl dort schon 70 Jahre kein Flugzeug startete. Eingezeichnet sind die Start-stelle, die Flugwege in der Platzrunde (Schulrunde) sowie das Landungszeichen, wo zu landen war. Dargestellt sind auch die Bahnstrecke von Leipzig nach Halle und das den älteren Lützschenaern bekannte Jägerhaus. Sicher ist die Karte so gelegt um den Fliegern beim Start in Richtung Süden die Orientierung zu erleichtern.

Vor Beginn des Flugbetriebs beobachtete der Flugleiter das Wetter und entschied, ob geflogen wird und welche Startrich-tung, also gegen den Wind gelten sollte. Danach wurde die Startstelle eingerichtet und das Lande-T ausgelegt.Da es noch keine Funkzu den Flugzeugen gab und wegen des Motorenlärms eine akustische Verständigung mit den Piloten nicht möglich war wurden neben den Fahnen am Start Signaltafeln aufgestellt, die zeigen sollten, ob die Platzrund mit Links- oder Rechtskurven geflogen werden muss. Auf diesem Foto sieht man die "Starteinrichtung der Militär-Fliegerschule Leipzig-Lindenthal".


Der Flugbetrieb war sehr rege, denn von Anfang Oktober 1915 wurden folgende Flüge gemacht:

Wetter und Bemerkungen
1. Oktober 73 Flüge, davon 71 Schulflüge Bedeckt und dunstig
2. Oktober 128 Flüge, davon 87 Schulflüge " "
3. Sonntag Flugdienst ausgefallen, Grund: Überholen u. Instandsetzen der Maschinen
4. Oktober kein Flugbetrieb Sturm und Regen
5. Oktober 179 Flüge, davon 128 Schulflüge klar und heiter
6. Oktober 156 Flüge, davon 106 Schilflüge bedeckt

Ob es Beschwerden wegen des damit verbundenen Lärms gab, das weiß ich nicht.

Text: Horst Pawlitzky
Quellen für Text und Bilder: Universitätsbibliothek Potsdam