Die Mühlgräben in und um Leipzig

Projekt Lebendige Luppe – Teil 5
Teil 1 Auen-Kurier (AK) 4/2017, Teil 2 AK 9/2017, Teil 3 und 4 AK 1/2018)

Die Stadt Leipzig und deren Umgebung waren durch viele Flüsse durchzogen. Für die Entwicklung der Stadt waren bis ins 19. Jahrhundert die Flüsse und das Holz aus dem Auenwald die wichtigsten Energiequellen. Zur Nutzung der Wasserkraft sind Wasserbaumaßnahmen und technische Anlagen nötig. Der Mensch griff oft in den Flussverlauf ein und errichtete die Mühlgräben.
Noch vor dem Jahr 1000 begann der Bau von Mühlen für Brotgetreide und Holzschnitt. Dazu baute man Mühlgräben zum parallelen Fluss und mit ihrem relativ geringen Gefälle (potenzielle Energie) trieben sie unterschlächtige Mühlräder aus Holz an (Umwandlung in kinetische Energie). Die Mühlrechte beinhalten den Standort und das Gefälle (mittels Mühlbaum festgelegt). Sie bestehen bis heute und führten oft zu Auseinandersetzungen. Neben dem Mühlstein und dem antreibenden Mühlrad sind zur Mehlherstellung auch noch Sieb- und Reinigungsmaschinen nötig. Von all diesen aus Holz gebauten Geräten sind nur wenige Zeugnisse aus alter Zeit erhalten. Die Müller waren wohlhabende Bürger.
Der Bau eines Wehres im Fluss dient zur Bildung eines Gefälles, ein Mühlgraben zur Nutzung dieses Gefälles und das Mühlrad mit seinen Regelungsmöglichkeiten komplettiert die Mühle. Zur Vermeidung von Hochwasserschäden wurden Abwurfgräben angelegt, um die Mühle zu umgehen. Die Gräben sind oft noch heute zu sehen.
Im Stadtgebiet von Leipzig ist der Barfußmühlgraben (heute Pleißemühlgraben) der wichtigste, er führte an der westlichen Stadtmauer (diese umschloss die Stadt noch bis ins 19. Jh.) entlang von der Pleiße in die Parthe und ist sicher für die Namensgebung „Pleißestadt“ mit verantwortlich. Die Barfüßermühle lag etwa am Eingang der heutigen Käthe-Kollwitz-Straße. Am gleichen Graben entstand die Thomasmühle gegenüber der Thomaskirche. Die Thomasmühle bestand nach Modernisierungen bis zum II. Weltkrieg; ihr Turbinenrad ist im Hof der Dölitzer Mühle ausgestellt. Für möglichst viel Mühl-Wasser sorgte das Kuhstrangwehr im Pleißeverlauf.
Der Angermühlgraben (heute Elstermühlgraben) entstand zwischen Elster und der wasserarmen Parthe auch um das Jahr 1000 (Angermühl-Gedenktafel an der Jacobstr.). Der Verlauf des Angermühlgrabens in der Jahnallee wurde inzwischen verändert. Die Brücke darüber ist 1813 gesprengt worden (Denkmal). Daneben existierten noch das Gräbchen und der Diebesgraben mit dem Naundörfchen. Hochzeitswehr und Steinernes Wehr in Lindenau sperrten einen Elsterarm ab (später Coburger Wasser) und ein westlicher Elsterarm wurde die Kleine Luppe.
Um 1287 entstand neben dem Thomasmühlgraben zur Verkürzung des Barfüßermühlgrabens der Nonnenmühlgraben als Abzweig von der Pleiße weit südlich der Stadt bis zur Pleißenburg bzw. dem Barfüßermühlgraben. Das Gelände der Pleißenburg ist heute mit dem Neuen Ratheus teilweise bebaut. Die ursprüngliche Pleiße wurde zum Kuhstrangwasser. Die Nonnenmühle mit 3 Mühlrädern war für die Versorgung der wachsenden Stadt wichtig und bestand bis 1890. Heute steht etwa dort die neue katholische Kirche gegenüber dem Rathaus. Zudem wurde durch den Nonnenmühlgraben die städtische Wasserversorgung über die Rote und Schwarze Wasserkunst ermöglicht. In mehreren Stufen wurde das Wasser in einen Turm gepumpt und mit dem Gefälledruck in der Stadt verteilt (im Stadtgeschichtlichen Museum ist ein alter Röhrenplan darüber zu sehen).
Das Dorf Gohlis hatte nur Wasser von der kleinen (nördlichen) Rietzschke. Zum Betrieb der dortigen Mühle wurde ein Mühlgraben von der Parthe abgezweigt. Gebäudeteile sind noch erhalten. Heute befindet sich dort eine Weinhandlung. Der Mühlgraben östlich vom Zoo hieß bis zum Zuschütten eines Pleißearms vor dem Naturkundemuseum Pleiße. Dieser Pleißearm wurde in den 1960-er Jahren begradigt und heißt heute Parthe.
Zwischen Leipzig und Schkeuditz nutzten 8 Mühlen das Wassergefälle der Elster, welches insgesamt etwa 10 m beträgt. Von den Mühlen Wahren, Stahmeln, Lützschena, Hänichen und Altscherbitz sind noch Gebäude und Wasserläufe erhalten und werden zunehmend wieder für Wohnzwecke genutzt. Beispiele sind das Wohngebäude der ehemaligen Mühle in Hänichen und die im Umbau befindliche Mühle in Stahmeln. In Stahmeln entstehen gegenwärtig 65 Wohneinheiten. Umgebaute ehemalige Mühlengebäude sind heutzutage als Wohnungen begehrt.
Das geringe Wassergefälle zwischen einzelnen Mühlen von reichlich einem Meter erforderte für deren Modernisierung besonders flache Turbinen mit stehender Achse. In Lützschena erfolgte bereits 1908 der Einbau von 3 Turbinen mit Generatoren zur Stromerzeugung. In Stahmeln waren bis 1984 die Mühlengeräte direkt mechanisch von den Turbinen über Transmission und Riemen angetrieben.
Wegen der Hochwassergefahr in Leipzig waren nicht nur die Mühlgräben nötig, sondern auch die bereits erwähnten Abwurfgräben zur Umgehung der Mühlräder. In Lützschena sind heute noch von der Brücke am Bauernsteg 3 Wasserläufe zu sehen. Bei einer Wanderung an der Elster kann man die Mühlgräben von Hänichen, Altscherbitz und Schkeuditz, die von der Elster abzweigen, sehen.
In der Stadt Leipzig wurden viele Gewässer zugeschüttet und bebaut.
In der Zeit vom 11. bis 18. Jahrhundert wurden 146 Hochwasserereignisse, etwa alle 5 Jahre, im Stadtgebiet Leipzig registriert. Die Lützschenaer Bürger hießen im Volksmund „Amphibien“ oder „Lurche“, weil sie zweimal im Jahr mit Hochwasser leben mussten. Aufgrund des großen Mückenvorkommens sollen bis 1864 Malariaerkrankungen vorgekommen sein.
Das letzte große Hochwasser 1954 betraf ganz Leipzig. In Lützschena sind uns die Hochwasserereignisse von 2011 und 2013 in Erinnerung, die aber aufgrund der stabilen Dammbauten keinen größeren Schaden verursachten.


Quellen:
[1] Leipziger Grundwasser - Quo vadis? Staatl. Umweltfachamt, Leipzig 2003
[2] Neue Ufer 3, Stadt-Kultur-Projekt/Leipzig, 1995
[3] In der Elster-Luppe-Aue, Sax-Führer, Beucha 1997
[4] Im Leipziger Elsterland, Pro Leipzig, 1997
[5] Leipziger und Schkeuditzer Gewässer, NABU Sachsen, „Lebendige Luppe“
[6] Rückmarsdorf und Bienitz, Zschampert, Schwedenschanze, Böhlitzer Hefte 2011
[7] Im Leipziger Pleißeland, Pro Leipzig, 1996

Reiner Pietag und Dr. A. Neumann