An dieser Stelle setzen wir die Abschrift der Chronik mit dem Eintrag für den Monaten September und Oktober 1844 - vor 175 Jahren – fort:

 

16. September.

Der gestrige Tag war auch für mich und viele Andere ein feierlicher Festtag: die, durch Gemeindebeiträge und Geschenke schön restaurierte Kirche zu Wahren ward eingeweiht. Zwar bedauerten wir bei dieser Gelegenheit unsern hochwürdigen Herr Ephorus, Dr. Grossmann, welcher eben erst von Carlsbad und Göttingen (hier von der großen Jahresversammlung der Gustav-Adolph-Stiftung) zurückgekehrt war, nicht unter uns zu erblicken, doch, konnten wohl dringende Geschäfte ihn fern von unserem frohen Kreise halten. Ich hatte den Vormittagsgottesdienst zu Lützschena um 7 Uhr angehen lassen, und konnte mich also schon gegen 9 Uhr nach Wahren begeben. Ein schöner sonniger Himmel begünstigte das Fest, welches nach 10 Uhr seinen Anfang nahm. Auch mein Cousin und Amtsbruder [Johann Gottlieb] Kunad von Eutritzsch nahm im Ornate mit mir an der kirchlichen Feier Theil. Lieder und Festgesänge (von Leipziger Sängern und Sängerinnen vorgetragen größtentheils) waren gedruckt (siehe die Beilage); das Hauptlied hatte ich selbst dazu gefertigt. Weiherede und Festpredigt hielt natürlich der Pfarrer P. [Gottlob] Herrnsdorf, der nicht ohne mannigfältige Mühen, unter angenehmen und unangenehmen Erfahrungen das Werk zu Stande gebracht hatte. Freilich hätte nicht ein, in Wahren geborener geschickter Maurermeister Engert den Bau als einen Ehrenbau höchst uneigennützig angefangen und vollendet, wäre das längst ersehnte und nötige Werk schwerlich wohl jetzt schon zu solch ehrenvollen Ende gediehen.

Nach der kirchlichen Festfeier vereinigte Freund Herrnsdorf viel werthe Gäste (den Gerichtsdirector Dr. [August Ludwig] Mothes, den Maurermeister Engert und den Zimmermeister Schröder unter ihnen) zum stattlichen Festmahle. – O käme doch auch mir und meiner Gemeinde bald ein ähnlicher Festtag, wo wir auch in einer schön restaurierten Kirche geziert mit stattlichem Thurme, anbeten könnten!!

Nach langer Trockenheit, die freilich die Vollendung der Ernte beschleunigte, aber auch die Mäuse und Hamster, sehr begünstigte (die mit den zweifüßigen Räubern um die Wette plünderten – mir sind dießmal 10 Garben vom Feld-Decem entwendet worden!) ist heute morgen ein wenig Regen gefallen. Unser Erntedankfest werden wir auf den Sonntag, den 22. September, so Gott will, halten.

Vorige Woche hat in Plauen eine Feuersbrunst über 100 Häuser verzehrt!

22. September haben wir unser dießjähriges Erntedankfest fröhlich feiern können; und ich habe nicht nur an diesen Festtage (an welchem Nachmittags der Herr Kirchpatron nebst dem Hofgesinde und den Dreschern mit dem Erntekranze die Kirche hier besuchte) an 5 Thaler für Ortsarme eingesammelt; sondern es wurden, in Folge amtshauptmannschaftlicher und patrimonialgerichtlicher Verfügungen für Plauen milde Sammlungen, von mir bevorwortet, in den 3 Dörfern angestellt, welche sehr reichlich ausfallen.

29. September habe ich zum 1. Male in der schönen erneuerten Kirche zu Wahren Beichtrede und Predigt gehalten, ausgespendet und Orgel gespielt - alles zu meines Herzens Freude - denn wie lieblich ist doch diese Wohnung des Allerhöchsten!

6. October, ein hochfestlicher Tag! Nachdem ich von 7 bis 8 Uhr in Hänichen Kirche gehalten hatte, fuhr ich nach Groß-Dölzig, wo unser zeitheriiger Parochial-Schullehrer candidatus Ernst Christian Oertel (dessen Familie in 3 Jahren 50 Jahre im Hänicher Schulhause heimisch gewesen seyn würde – Großvater, Vater und Sohn -) seine Probepredigt und Catechese ehrenvoll ablegte, worauf derselbe von unserm hochwürdigen Herrn Ephorus der Gemeinde vorgestellt, in sein neues Amt installiert und ordiniert ward. Bei letzter Handlung assistierten wir, der Pastor emeritus M. [Johann Adam] Burmann, und ich, und sprachen, jeder aus dem Herzen, was der ernste Augenblick gebot. Ein frohes Festmahl, welches von dem Ordinato gegeben ward, vereinigte uns in der Pfarre, wernach unser Dr. Grossmann uns Ueberauische in seinem Wagen über Schkeuditz mit anher nahm, indem seit Vormittags starker Regen eingetreten war.

18. October

Ein neues Schulleben hat begonnen. Am Sonntag, Dom XIX post Trinitatem, den 13. October, hielt Herr Pastor Ernst Christian Oertel, in hiesiger Kirche seine sehr ergreifende Abschiedspredigt. Der Abend vereinigte uns noch einmal in unserer Wohnung zu festlicher Familienfeier, in der ebenso meines neulichen Geburtstags als der scheidenden Freunde gedacht wurde. (Montags machte ich meinen vergnügten Censitengang nach Quesitz, wo der Pastor von Lützschena der vor Jahrhunderten eine Frühmesse zu halten hatte, wenn ein Mitglied der Markranstädter Calanden –Brüderschaft [Kalandsbrüder – im Mittelalter Verbrüderungen von geistlichen und weltlichen Personen beiderlei Geschlechts, die unter der Leitung von Priestern am 1. Tage des Monats (Calendae, daher der Name) zusammenkamen u. Anordnungen über Feste, Fasten, Almosenspenden u. Laienaufnahmen etc. trafen. Ihr eigentlicher Zweck war Sterbekassen zu bilden, Seelenmessen für Verstorbene zu besorgen u. Arme zu unterstützen. d.Ü.] verstorben war, noch jetzt den Nutzen zieht, ohne ein onus [lat: eine Last d.Ü.] zu haben); Dienstag, nachdem ich von Dölzig zurückgekehrt war, wo ich für Freund Oerteln eine Leichenpredigt gehalten hatte, führte ich um 5 Uhr eine Schaar Schulknaben und Mädchen zum Schulhause, ließ sie einen von mir gedichteten Abschiedsgesang anstimmen und knüpfte an denselben einige Worte – Lehrer und Schüler waren tief bewegt! Mittwoch, nachdem P. Oertel noch auf des Herrn Superintendent D. Grossmann Ruf nach Leipzig zu seiner Confirmation [= Einweisung in sein Amt d.Ü.] geeilt war, schlug bald nach Mittag die Abschiedsstunde.

20 Rüstwagen, von der Kirchfahrt Groß- und Klein-Dölzig, mit Möhritzsch zur Abholung des Oertelschen Hausraths entsendet, waren vorausgegangen; um 2 Uhr fuhr ihnen die bekränzte Kutzsche mit der Oertelschen Familie nach; mit großen Ehren, Festzügen, Gesängen, Rede und Geschenken ist sie drüben empfangen worden - Gott lasse es ihr ferner dort stets wohlergehen! - Sonntags zuvor hatte Herr Dr. Grossmann den Schulamtscandidaten Karl Herrmann Graubner, Cantorssohn aus Liebertwolkwitz, zu mir geschickt, der entschlossen war, unser Schulamts-Vicariat zu übernehmen. Dienstag war er durch Hänicher Fuhrwerk von Hause abgeholt, nahm mit mir nach Oertels Abreise das Inventarium auf, richtete sich in der kleinen unteren Wohnstube bestens ein, und war gestern von mir in seine 3 Schulclassen feierlichst eingeführt. – Ueber unsere ganze Schulangelegenheit aber ist zur Zeit noch nicht weiter gehandelt worden.