Ein Gang zum Schlosspark in Lützschena (3 von 22)

Text und Fotos: Horst Pawlitzky
Stand 2013

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Lützschenaer Gasthof vor dem Abriß im Herbst 2006
Die ehemalige Brauerei…
Lützschena und sein Bier
Lützschena und Bier - diese Einheit hätte vor Jahren niemand ernsthaft bestritten. Und noch heute bestimmt die Silhouette der ehemaligen Brauerei mit der grünen Kuppel des Sudhauses und dem Uhrenturm des Werkstattgebäudes die Landschaft, egal aus welcher Richtung man sich dem Ort nähert. Seit wann in Lützschena Bier gebraut wurde, kann heute niemand genau sagen. Fest steht lediglich, dass der zum Gut Lützschena gehörenden Brauerei 1785 das Privileg erteilt wurde, in Leipzig ihr Bier "auf Grund seiner Stärke und Güte" verkaufen zu dürfen. Im damaligen Burgkeller, wo sich heute das Restaurant Mövenpick befindet, gelangte es zum Ausschank.

Als nun der Gutsbesitzer Rittmeister Hans Moritz Alexander von Klengel im Jahre 1816 verstarb, geriet seine Witwe in wirtschaftliche Schwierigkeiten, was sie letztlich veranlasste, 1822 das Gut mit allem, was dazu gehörte, für 101.570 Taler an den Leipziger Kaufmann und Wollhändler Maximilian Speck (1776 - 1856) zu verkaufen. Dem neuen Besitzer gelang es, das Gut nicht nur zu erhalten, sondern durch erfolgreiche Unternehmungen, so die Schafzucht, Hochwasserschutz, Obstbau, neue landwirtschaftliche Methoden, Betrieb von Ziegelei und Brauerei zu neuer Blüte zu führen. Das brachte ihm nicht nur Gewinn, die Anerkennung seiner Fachkollegen im In- und Ausland ein, sondern auch aus der Hand des bayerischen Königs den erblichen Adelstitel.

WappenDer nunmehrige Ritter Maximilian Speck von Sternburg schloss wenige Jahre später die alte Gutsbrauerei und ließ in den Jahren 1836/37 am jetzigen Standort, gestützt auf seine guten Erfahrungen aus dem Betrieb der zu seinem Besitz gehörenden Klosterbrauerei des ehemaligen Benediktinerklosters St. Veit bei Landshut in Bayern, eine neue Brauerei und Mälzerei errichten. Nach den Plänen des Braumeisters des Augustinerbräu in München wurde der Betrieb gebaut, zu dem auch ein Eis- und Bierkeller in 20m Tiefe gehörte. Hergestellt wurde ein bekömmliches untergäriges Bier, das sich zunehmender Beliebtheit erfreute. Ganz auf Selbstversorgung eingestellt, ließ Speck im gleichen Jahr an 37.000 Stangen 112.000 Hopfenpflanzen ziehen, 1842 waren es bereits 135.000. Zur Sicherung der Wärmeversorgung ließ er 1842 aus England Steinkohle anliefern, denn der Versuch, auf eigenem Land verwertbare Braunkohle zu fördern, schlug fehl. Der gestiegene Bierabsatz erforderte später den Neubau dreier Lagerkeller in den Jahren 1846/47.

Freiherr Alexander Speck von Sternburg (1821 - 1911), ein Sohn Maximilians, leitete nach dem Tod des Vaters im Jahre 1856 das Gut und die Brauerei, wobei er sich besonders der Führung des Gutes widmete. Unter seiner Leitung wurden 1876/77 ein neuer Dampfkessel und Dampfmaschine beschafft, das Sudhaus ausgebaut und für die Mälzerei eine neue Darre errichtet. Sein Sohn James Alexander (1856 - 1916), ein ausgezeichneter Fachmann auf dem Gebiet des Brauereiwesens, ließ die Brauerei, welche er seit 1883 leitete, nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen führen und zielstrebig erweitern. Wurden in diesem Jahr 12.000 Hektoliter Bier gebraut, so überstieg bald die Nachfrage das Angebot. Ein neuer Dampfkessel, Eis- und Kühlmaschinen wurden deshalb 1888/89 angeschafft, um die Produktion zu steigern. In Oswald Winde fand James Alexander einen Mitarbeiter, der sich im Brauwesen bestens auskannte und bereit war, die von seinem Chef verfolgten Pläne umzusetzen. 1890 wurde ihm die Betriebsleitung übertragen.


Die folgenden Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren gekennzeichnet durch die stetige Entwicklung des Betriebes. 1890/91 wurde ein neues Sudhaus mit Dampfkochung in Betrieb genommen, mussten neue Gärbottiche und Lagerfässer heran. Das setzte die Brauerei in die Lage, ab 1892 das Bier auch in Flaschen zu versenden. 1897 wurde der gesamte Betrieb mit Elektromotoren ausgestattet. An der Elster wurde 1901 das heute noch bestehende Wasserkraftwerk in Betrieb genommen, dessen drei Francisturbinen die Brauerei und später Teile von Lützschena bis in die 60-er Jahre mit Gleichstrom versorgten. Als erster deutscher Betrieb verfügte die Brauerei um die Jahrhundertwende über ein internes Telefonnetz mit 74 Anschlüssen. Vorbildlich auch nach heutigen Gesichtspunkten war die energetisch und ökologisch effiziente Fahrweise des Betriebes durch Kraft-Wärme-Kopplung und die Verwendung des Wassers in Kreisläufen.

Bis 1906 wurden der Flaschenkeller und das Kühlhaus erweitert, im gleichen Jahr der Gasthof umgebaut, denn hier erfolgte der Brauereiausschank des weithin bekannten Sternburg Bieres. Der Neubau des Kesselhauses war 1910 abgeschlossen, ebenso die Erweiterung der Brunnenanlage auf dem Gelände der Villa Martha und die Vergrößerung des Pferdestalls "An der Schäferei". Und mit der Inbetriebnahme des Anschlussgleises im Jahre 1911 und dem damit verbundenen Zugang zum Eisenbahnnetz wurden die logistischen Probleme der Brauerei (Zufuhr von Brenn-, Roh- und Hilfsstoffen, Abtransport von Bier in Fässern und Flaschen sowie in speziellen Fasswaggons) auf zeitgemäße Weise gelöst. Eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse trat ein, als die Brauerei 1912 von dem übrigen Gutsbesitz getrennt und in eine GmbH umgewandelt wurde, als deren Prokurist Curt von Funcke tätig wurde. Der Beginn des ersten Weltkrieges unterbrach die stürmische Entwicklung der Brauerei.

Das Wachsen der Brauerei hatte aber auch positive Wirkungen für ihre Beschäftigten und den Ort. So wurde 1902/03 eine Betriebskrankenkasse gegründet. 1918 wurden 15 Einfamilienhäuser gekauft, um sie bevorzugt an die Mitarbeiter zu vermieten. In den 1928/29 gebauten Wohnhäusern (Bahnstraße 17 bis 20) befanden sich die Dienstwohnungen für leitende Angestellte. Erste Neubauten nach dem Krieg 1914 - 1918 waren ein weiterer Lagerkeller und die Autohalle, denn die rasche Belieferung der Kunden in der näheren Umgebung sowie der zahlreich entstandenen Niederlassungen (u.a. Brandis, Landsberg, Lützen, Delitzsch, Halle) erforderten den Einsatz von Lastkraftwagen. Letzte große Neubauten vor dem Zweiten Weltkrieg waren 1928 das Sudhaus mit seinem weithin sichtbaren Kupferdach und das Werkstattgebäude mit dem Uhrturm. Beide Gebäude stehen unter Denkmalschutz, verkörpern sie nicht nur einen Teil der Industriegeschichte unserer Region, sondern bestimmen auch ganz entscheidend das Bild von Lützschena. Bei Beginn des 2. Weltkrieges betrug die jährliche Bierproduktion 250.000 Hektoliter.

Als im April 1945 amerikanische Truppen nach Leipzig vorrückten, wurde in der Brauerei ein antifaschistischer Betriebsrat gebildet, der sich darum bemühte, die Brauerei unter den neuen Bedingungen fortzuführen. Das änderte sich aber, als am 2. Juli 1945 die Amerikaner von sowjetischen Truppen abgelöst wurden, welche die Brauerei 1946 auf die Liste C setzten und in ihre Verwaltung nahmen. Erst auf der Grundlage des Befehls Nr. 64 der SMAD (Sowjetische Militär-Administration Deutschland) wurde die Brauerei am 1. Juli 1947 in deutsche Hände zurückgegeben, allerdings als VEB (Volkseigener Betrieb), welcher der VVB Brauereien (VVB = Vereinigung volkseigener Betriebe) mit Sitz in Dresden unterstellt wurde. Im Jahre 1959 wurden die Sternburg Brauerei Lützschena, die Sternen-Brauerei Schkeuditz und die Malzfabrik Schkeuditz zu dem VEB Brau- und Malzkombinat Sternburg zusammengeschlossen. Das Spezialbier "German Pils", zur Leipziger Frühjahrsmesse 1966 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet, wurde nach Ungarn, Rumänien, Bulgarien und in die Sowjetunion exportiert, sowie bei der Bordverpflegung auf den
Schiffen der DDR und in den Flugzeugen der DDR-Fluglinie "Interflug" eingesetzt. 1969 erhielt das Porter eine Goldmedaille der Leipziger Messe. Durch die Aufstellung der ersten 23 m hohen Gär- und Reifereaktoren mit einem Fassungsvermögen von 250.000 Litern im Jahre 1973 - 1980 waren es am Ende acht Stück - wurden neue Wege in der Brautechnologie beschritten. Mit der Inbetriebnahme eines neuen Flaschenkellers im Jahre 1976, errichtet als Stahlskelettbau, konnte bis 1978 die Bierproduktion auf jährlich 400.000 Hektoliter gesteigert werden. Die Feuerung des Kesselhauses wurde in dieser Zeit von Rohbraunkohle auf Heizöl umgestellt, eine Maßnahme, die später wieder rückgängig gemacht wurde, weil wegen fehlender Devisen die Beschaffung von Erdöl durch die DDR nur für ausgewählte Verwendungen erfolgte.

Noch im Jahre 1989 wurden in der Brauerei von ca. 500 Beschäftigten 500.000 Hektoliter Bier produ-ziert. Mit dem Ende der DDR nahte auch das Ende der Brauerei. Kurz nach Öffnung der Grenze, im Frühjahr 1990, stellte sich die "Stuttgarter Hofbräu" angeblich helfend an die Seite der Lützschenaer, äußerte Kaufabsichten. Nachdem man das Vertriebsnetz von Sternburg genutzt hatte, um die eigenen Biere rasch auf den ostdeutschen Markt zu bringen, wurde nach dem Bekanntwerden des von der Treuhand geforderten Kaufpreises der Rückzug angetreten. EKU Kulmbach kam aus ungeklärten Gründen nicht zum Zuge, denn das Rennen machte die Brau- und Brunnen AG in Dortmund, welche letztlich den Betrieb unter Einschaltung des früheren Stammbetriebs des volkseigenen Getränkekombinat Leipzig, zu dem die Sternburg-Brauerei gehörte, und der späteren Sachsenbräu AG in Leipzig-Reudnitz für 5,6 Millionen DM erwarb. Neben dem eigentlichen Brauereigelände gehörten dazu auch Liegenschaften in der Nähe von Lützschena, insgesamt eine Fläche von 4,6 Hektar, darunter eine Fläche von ca. 70.000 Quadratmetern in der Nähe des Flughafens Leipzig-Halle.

sternburg_etikettAm 15. Mai 1991 wurde letztmalig in Lützschena Bier gebraut, anschließend nur noch abgefüllt und ausgeliefert. Am 31. August 1991 wurde die Brauerei trotz der Besetzung durch die Belegschaft, Einsprüchen des Gemeinderates und der evangelischen Kirchgemeinde Lützschena endgültig geschlossen. Bereits vorher wurde mit der Verlagerung der Fassabfüllanlage nach Reudnitz mit der Demontage der Ausrüstungen begonnen. Was noch brauchbar war wurde entweder nach Reudnitz geschafft oder verkauft, der Rest verschrottet oder auf den Müll geworfen. Von der Belegschaft sollten lediglich 50 Mitarbeiter bis 1993 in Reudnitz weiter beschäftigt werden, alle übrigen wurden im August 1991 entlassen. Das Kesselhaus und die Ölbehälter wurden abgerissen, am 16. Februar 1995 der Schornstein gesprengt, mit dem Abbruch des Flaschenkellers wurde begonnen. Übrig geblieben ist eine Industriebrache, die immer mehr verfällt. Auch bei den denkmalgeschützten Gebäuden Sudhaus, Werkstatt und Garagen ist durch unterlassene Pflege ein Zustand eingetreten, der am Ende den Abriss unvermeidlich erscheinen lässt. Pläne der Brau und Brunnen AG aus dem Jahre 1996, auf dem Brauereigelände unter Einbeziehung der denkmalgeschützten Bauten ein Gemeindezentrum (Wohn-, Gewerbe-, Verwaltungs- und Dienstleistungsflächen) entstehen zu lassen, scheiterten bisher daran, dass angeblich kein Investor gefunden wurde, der die Fläche übernimmt und bebaut.

Im Jahre 2004 sah es nun so aus, als habe ein Investor im Zuge einer freiwilligen Versteigerung die Brauerei erworben. Dem Ortschaftsrat und der Presse wurden Pläne vorgestellt, was mit der Brauerei geschehen soll. Es war von einer Einkaufsmeile und gastronomischen Einrichtungen die Rede, Sport- und Wellnessbereiche sollten entstehen, Tiefgarage und Hotel. Bis heute hat sich in dieser Sache keine Hand geregt, ein neuer Bebauungsplan ist nicht bekannt. Offensichtlich waren die Eigentumsverhältnisse immer noch unklar, so dass sich der Ortschaftsrat im März 2005 an den Leipziger Oberbürgermeister wandte mit der Bitte, sich um Klärung zu bemühen, damit dieser Schandfleck verschwindet und zumindest die denkmalgeschützten Bauten, welche die Landschaft prägen, erhalten bleiben. Die Brauerei wurde danach zwar in das Gebäudesicherungsprogramm der Stadt aufgenommen, was aber keine Änderung der Situation bewirkte.

Im Radefelder Weg gibt es zu dem Brauereigelände einen kleinen Seiteneingang. An dessen Tür ist ein Briefkasten befestigt, auf dem seit Kurzem folgende Adresse zu lesen ist: „Wohnpark der Generationen Alte Sternburg Brauerei KG“. Nun bleibt zu hoffen, dass es sich nicht um eine reine Briefkastenfirma handelt, sondern hier wirklich etwas Vernünftiges passiert. Schließlich ist es den Eigentümern der Sternburg-Liegenschaften gelungen, das Gebiet um die Mühle in Hänichen zu verkaufen, wo mehrere Eigenheime entstanden, ebenso die Villa am Haupteingang in der Halleschen Straße, die musterhaft rekonstruiert wurde.

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