Ein Gang zum Schlosspark in Lützschena (8 von 22)

Text: Horst Pawlitzky
Stand 2013

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In der Lützschenaer Schlosskirche, einer Tochterkirche der Kirche in Hänichen, befand sich ein dreiflügliger gotischer Altar aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Wegen der Madonna im seinem Mittelteil und der Malereien an den Außenseiten der beiden Flügel bezeichnet man ihn auch als Marienaltar. Gestiftet wurde er um 1470, wobei sein Schöpfer unbekannt ist. Im Jahre 1817 brannte die Kirche ab. Als 1822/23 der Wiederaufbau erfolgte, wurde ein neuer Altar angeschafft, den alten aber ließ Maximilian Speck von Sternburg (1776-1856) 1835 am Ostgiebel der Kirche im Freien anbringen, wo er 20 Jahre Wind und Wetter ausgesetzt war. Oskar Mothes (1828-1903), dem Architekten des Umbaus der Schlosskirche von 1855 ist es zu verdanken, dass der Marienaltar in die Obhut der Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altherthümer in Leipzig kam, die ihn im Kunsthistorischen Institut der Universität Leipzig lagern ließ. In verschiedenen Depots überstand er die Wirren der Zeiten. Eigentümer blieb jedoch - wie 1855 festgehalten und 1857 nochmals in einem Revers bestätigt - die Kirchgemeinde zu Lützschena. Im Oktober 1947 wurde der Altar dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig übergeben. Ein erster 1938 gestarteter Versuch der Wiederaufstellung war durch den Beginn des 2. Weltkriegs und ein zweiter in den 1960er Jahren am Widerstand der DDR-Behörden gescheitert.

In geschlossenem Zustand ist der Altar 1,36 m hoch und 1,32 m breite. Die Außenseiten der Altarflügel sind bemalt mit vier Szenen aus dem Leben der Maria. Rechts oben ist die schwangere Maria mit ihrer Base Elisabeth (Mutter Johannes des Täufers) dargestellt (Heimsuchung). Das Bild links oben zeigt das neugeborene Jesuskind mit Maria und Josef im Stall zu Bethlehem. Während Maria ganz der Anbetung des Kindes hingegeben ist, stellte der Maler Josef mit Kochtopf und Rührlöffel dar und wies ihm damit die Rolle des Haushälters zu. Links unten zeigt das Bild die Darbringung Jesu im Tempel. Der Vorschrift gemäß haben Maria und Josef als Opfergabe zwei Tauben mitgebracht, die auf dem Altar zu sehen sind. Bemerkenswert ist, dass alle Personen auf den Bildern in der Tracht des Mittelalters gekleidet sind und obendrein der jüdische Priester im Gewand eines Bischofs abgebildet ist. Im Bild rechts unten wird der Tod der Maria im Beisein der Apostel dargestellt, wie er sich der frommen Legende zufolge ereignet haben soll. Alle diese Malereien sind sehr stark restaurierungsbedürftig. Deshalb versucht man weitere Schäden zu verhindern, indem brüchige Farben mit speziellen Klebefolien vor dem Herausfallen gesichert wurden.

Öffnet man die Flügel, dann erreicht der Altar eine Breite von ca. 2,65 m und man erblickt die hölzernen Figuren, welche in neun mit filigran geschnitztem Maßwerk verzierten Nischen stehen. Im Zentrum befindet sich eine ca. 1 m hohe Statue der Maria mit Königskrone und dem Jesuskind auf dem Arm. In den vier Nischen zu ihrer Seite sind acht Figuren zu sehen, deren Interpretation nicht so problemlos geschehen kann wie es bei den Gemälden auf der Außenseite möglich ist. Anhand der Gegenstände, die ihnen zwecks der leichteren Erkennbarkeit durch das leseunkundige Publikum des Mittelalters beigegeben wurden, ist ihre Identifikation jedoch auch heute zum Teil noch möglich. Obwohl es verschiedene Deutungsvarianten gibt, hat sich folgende Lesart herausgeschält:


Im mittleren Teil des Altars sind folgende Heilige zu sehen: Im Geviert oben links der heilige Nikolaus, daneben die heilige Katharina, eine Märtyrerin. Darunter die heilige Elisabeth, mildtätige Landgräfin von Thüringen und spätere Franziskanerin, neben ihr Maurus , der zusammen mit Benedikt im Jahre 528 das Kloster Monte Cassino zwischen Rom und Neapel gründete. Das Geviert links oben zeigt die heilige Barbara, eine Turmbewohnerin, die neben Artilleristen und Bergleuten auch jenen Glöcknern als Schutzpatronin galt, die bei schweren Gewittern die Glocken zu läuten hatten, um das Unwetter zu vertreiben. Neben ihr steht Wolfgang, ein Einsiedler, der seine Eremitage am Wolfgangsee im Salzkammergut selbst errichtete. Schließlich sind rechts unten der den Drachen tötende Erzengel Georg und die heilige Margarete zu sehen.

Bei den zwölf Figuren der Seitenflügel handelt es sich offenbar um die zwölf Apostel, von denen die folgenden eindeutig namentlich benannt werden können: Links oben in der Mitte Andreas, der Jesus bei der wundersamen Speisung der 5000 mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen zur Seite stand und später am schrägen Andreaskreuz den Märtyrertod fand. Darunter in der Mitte sein Bruder Petrus, Fischer aus Kapharnaum, Oberhaupt der Apostel und erster Bischof von Rom. Rechts neben ihm wird Jakob der Ältere erkannt, Sohn des Zebedäus und älterer Bruder des Johannes. Das Geviert rechts oben zeigt uns links den Apostel Simon, der seines Glaubens wegen mit einer Säge bei lebendigem Leibe zerstückelt worden sein soll. Rechts von ihm, also in der Mitte, ist der jüngste Apostel und Evangelist Johannes, der Lieblingsapostel Jesu dargestellt worden. Er soll zur Zeit des Römerkaisers Domitian in siedendes Öl getaucht worden sein, was er aber wundersamerweise unbeschadet überstand.


 

Nicht so gut überstanden die Figuren die Zeitläufe. Ursprünglich waren sie bemalt, worauf die noch vorhandenen Farbreste und die Grundierung aus Kreide und Leim hinweisen. Diese farbige Fassung lässt sich auf Grund der geringen Farbreste nicht mehr rekonstruieren, so dass nach Ansicht der Fachleute eine Restaurierung nur das Ziel haben kann, Vorhandenes zu erhalten und die Substanz zu sichern, so dass am Ende die Farbe des Holzes den Altar dominieren würde. Für eine solche Behandlung entstünden Kosten, die vor allem dem hohen Stundenaufwand geschuldet sind, der für die Freilegung des Holzes von Grundierung und Schmutz veranschlagt wird. Diese enorme Summe ist weder von dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig noch der evangelischen Kirchgemeinde Lützschena aufzubringen. Trotzdem besteht die Absicht, den Altar, welcher seit 1855 nicht wieder öffentlich gezeigt wurde, so weit zu restaurieren, dass er keinen weiteren Schaden nimmt und an seinem angestammten Platz in der Schlosskirche wieder aufgestellt werden kann.


Im Jahr 2012 wurden deshalb Maßnahmen ergriffen, die die Erreichung dieses Ziels ermögliche sollen. Neben Untersuchungen zu Art und Umfang der Restaurierung wurden auch Messreihen zur Ermittlung der klimatischen Bedingungen an den beiden möglichen Standorten der Wiederaufstellung, dem Altarplatz und der Nordwand im Altarraum, gestartet und bereits ersten Auswertungen unterzogen. Unter der Schirmherrschaft des Kunstmäzens Freiherr Wolf-Dietrich von Sternburg erfolgte am 27. Juni 2013 in der Schlosskirche die Präsentation eines originalgetreuen Modells des Flügelaltars, welches auf den jetzigen Altar gestellt wurde und so einen Eindruck vermitteln sollte, wie er sich in den Kirchenraum einfügt. Eine wissenschaftliche Begleitung erfuhr die Präsentation durch einen Vortrag von Frau Anke Voigt vom Verein Kunstretter e.V., die einen kunsthistorischen Einblick in das Thema am Beispiel ausgewählter spätgotischer Altäre aus Sachsen im Allgemeinen und dem Lützschenaer Marienaltar im Speziellen gab. Herr Oliver Titze, ebenfalls vom Verein Kunstretter e.V., sprach über die durchgeführten Untersuchungen und Herr Steffen Berlich ließ die bewegte Geschichte des Flügelaltars Revue passieren. Auch am 1. September 2013 im Zusammenhang mit dem Schlossparkfest war die Kirche geöffnet, so dass viele Besucher sich ein Bild von dem Altar, seiner Geschichte und kulturhistorischen Bedeutung machen konnten. Zum „Tag des offenen Denkmals“ am 8. September 2013 wurde auch das bis dahin erstellte Restaurierungskonzept vorgestellt. Denn wohl verpackt in Kisten liegt der Altar jetzt schon im Chorraum der Kirche. Nun ist zu hoffen, dass das Konzept recht bald verwirklicht werden kann und Lützschena um eine Sehenswürdigkeit reicher wird.

Fotos: Auen-Kurier, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig


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