Zweckmäßig, schön und umweltfreundlich
Die Gartenstadt und ihr Jungfernbrunnen
Wer Lützschena besucht, entdeckt sie nicht sofort. Sie liegt abseits der
Hauptstraße, auf leicht ansteigendem Gelände in nördlicher Richtung, das
zur Bahnlinie führt. Hat der Besucher die zwischen 1909 und 1911 durch den
Baumeister Bruno Peglau (1875-1922) erbaute schmucke Gartenstadt gefunden,
ist er freudig überrascht von der Schönheit der Anlage mit ihren mehr als
135 Häusern, die von gepflegten Gärten umgeben sind und von einer hohen
Wohnkultur künden. Aus denkmalpflegerischer Sicht steht die Siedlung unter
"Sachgesamtheitschutz". Der Jungfernbrunnen und die Häuser Kleiner
Poetenweg 25 und Paulinengrund 7 und 15 sind in der Denkmalliste
verzeichnet.
"Leider hat die Gartenstadt im Laufe der Jahre an architektonischer
Attraktivität verloren", meint berechtigt die Bibliothekarin Christa
Werther. "Es müsste für dieses Bauensemble klare Auflagen für die
Restaurierung geben".
1909 wurden Ansiedler gesucht, aktuell wie heute
In einer 1909/1910 erschienenen Werbeschrift der Gartenstadt Quasnitz GmbH
wird für die Ansiedlung in der damals im Entstehen begriffenen Siedlung
geworben. Das liest sich, als sei es für die Gegenwart geschrieben:
"Das moderne Großstadtleben mit all seinem Lärm und seiner Unruhe, - die
moderne Form der Arbeit mit ihrer nervenaufreibenden Hast und
Kräfteanspannung, - der Zwang, mit einer größeren oder geringeren Anzahl
von Familien in einem gemeinsamen Miethause, in rauchiger, ungesunder Luft
und in engen Straßen zusammen zu wohnen, hat wohl in jedem Bewohner
Leipzigs schon einmal den Wunsch erweckt, hinaus aufs Land zu ziehen und in
schöner Lage ein Häuschen zu ermieten, in dem er unabhängig vom Nachbarn
leben und sich von des Tages Last und Mühe in einem freundlichen Daheim
erholen kann.
Zumeist scheitert jedoch die Verwirklichung dieses Wunsches an der leidigen
Geldfrage und nicht zum wenigsten am Mangel an geeigneten Grundstücken.
Die "Gartenstadt" GmbH hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, durch Gründung
von "Gartenstadt"-Ansiedlungen, insbesondere Siedlungen kleiner, wohnlicher
Einfamilienhäuser in behaglichen, gefälligen Formen Angehörigen des
Mittelstandes die Möglichkeit zu geben, in unmittelbarer Nähe von Leipzig
und mit guter Verbindung nach der Stadt in freier Lage ein gesundes,
gemütliches, praktisch eingerichtetes Heim für einen mäßigen Preis zu
ermieten und auf Wunsch unter günstigen Bedingungen käuflich zu erwerben.
Zur Verwirklichung dieses Zweckes hat die "Gartenstadt" GmbH zunächst ein
ca 250000 qm großes Areal in Quasnitz bei Lützschena erworben.
Das Areal liegt hoch und gesund und ist 8 bis 10 Minuten von der schönen
Elsteraue und dem Walde entfernt, welche sich ununterbrochen 2 ½ Stunden
weit bis zum Eingang des Rosentals in Leipzig und 4 Stunden weit in
entgegengesetzter Richtung nach Schkeuditz, Maßlau. Merseburg usw.
erstrecken. Auf diesem Areal beabsichtigt die "Gartenstadt" GmbH in
nächster Zeit ca. 140 Einfamilienhäuser errichten zu lassen. 68 dieser
Häuser werden ... als Gruppen bzw. Reihenhäuser erbaut werden.
Jedes Haus hat einen Vorgarten, der als Ziergarten erhalten werden muß;
fast alle Häuser haben auch größere Gärten im Inneren des Baublocks. Dort
befindet sich auch ein großer Spielplatz, der mit schattenspendenden Bäumen
bepflanzt wird. Die Grundrisse sind für alle Häuser gleich.
Jedes Haus erhält im Kellergeschoss einen großen Wirtschaftskeller, im
Erdgeschoss zwei Wohnräume und eine große Küche von je 2,60 m lichter Höhe
sowie ein Wasserkloset. Im Obergeschoß befinden sich eine größere
Schlafstube und zwei kleinere Schlafräume von je 2,80 m lichter Höhe,
ferner ein Bad, welches zugleich als Waschküche eingerichtet ist. Ferner
ist ein geräumiger Dachboden vorhanden. Die Häuser werden nach Wahl für
elektrisches Licht oder Gas, ferner mit Wasserleitung eingerichtet; die
Räume werden einfach, aber modern und geschmackvoll, - in den oberen Räumen
mit Wandschränken - ausgestattet.
Der Mietpreis beträgt durchschnittlich 530 Mark pro Jahr, den Verbrauch von
Gas, Wasser und elektrischem Strom hat der Mieter selbst zu bezahlen.
Den käuflichen Erwerb der Grundstücke wird die Gesellschaft dadurch
erleichtern, daß nur 1/8 des Preises, welcher sich auf rund 9-10000 Mark
stellen wird, als Baranzahlung verlangt und 10jährige Amortisation des
Restkaufgeldes eingeräumt wird. Durch geeignete Vertragsbestimmungen wird
im Interesse der ganzen Siedlung dafür gesorgt, daß deren Charakter als
"Gartenstadt" für alle Zeiten erhalten bleiben muß und damit eine
Grundstücksspekulation ausgeschlossen wird. Muster eines Kaufvertrages wird
anliegend beigefügt...."
Die "Gartenstadt" GmbH hat nicht zu viel versprochen. Der Plan wurde in
allen Punkten Wirklichkeit. Bruno Peglau erwies sich als ein moderner,
weitblickender, rationell gestaltender Baumeister von hoher Qualität. Noch
heute ist die Gartenstadt ein beispielgebender Bestandteil des kulturellen
Erbes von Lützschena und Stahmeln.
Im Zentrum - Der Brunnen an der Jungfernstiege
Bruno Peglau wusste um die Synthese von Architektur und baubezogener Kunst.
Die von ihm in den Bebauungsplan einbezogene Brunnenanlage an der
Jungfernstiege beweist es. Der Name Jungfernstiege kommt aus dem
Süddeutschen und heißt so viel wie "Jungfern-Stufen". Der Architekt machte
aus der Not eine Tugend und glich durch die Einfügung von je 12 Stufen
neben der eigentlichen Brunnenanlage zwischen Am Kalten Born und
Paulinengrund vorhandene Höhenunterschiede für die Bebauung aus.
Im Mittelpunkt der ursprünglich mustergültigen Anlage, in der auch Wasser
sprudelte, steht die aus Stein gehauene Figur des Pans mit der Flöte, zu
seinen Füßen hockt ein Wiesel, plastisch gestaltete Früchte, als Kränze
geflochten, bilden das weitere Zierrat. Ein sehenswertes Stück, dieser
Brunnen, wie man es in Lützschena kaum vermutet.
Längst ist der Brunnen versiegt, er verwittert vor sich hin, das
Wasserbecken verstaubt, ein wenig traurig steht der Besucher vor der
Anlage.
Edith Rühs erzählt
Die Lützschenaerin, heute 80 Jahre alt, wurde quasi im Schatten des
Brunnens an der Jungfernstiege geboren. Noch heute wohnt sie in dem Haus
neben der künstlichen Quelle, das ihre Großmutter 1918 kaufte. Hier ist
Edith Rühs groß geworden, hier hat sie ihr bisherigen Leben gelebt. Viel
weiß sie über die Anlage zu erzählen. Ihr Großvater, Ernst Zeißler,
betreute sie, er ließ das Wasser fließen und wachte über Sauberkeit und
Funktionstüchtigkeit der Anlage. "Viele Stunden haben wir im Sommer
gemeinsam auf der Bank des Brunnens verbracht, unter den noch heute
schattenspendenden Ahornbäumen", erinnert sich Edith Rühs. Das Amt des
Großvaters führte später Ediths Mutter weiter, und schließlich ging es auf
sie über. Viele Jahre hat sie dankenswerterweise gemeinsam mit ihrem Mann
Erich, der 1999 leider früh verstarb, die Brunnenanlage gepflegt, gesäubert
und in Ordnung gehalten. Sie haben es gern getan. Jetzt kann sie es
kräftemäßig nicht mehr, und niemand hat sich bisher gefunden, den
Staffelstab aufzunehmen.
Edith Rühs bedauert es, dass seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges der
Brunnen an der Jungfernstiege stiefmütterlich behandelt wird. Keine
offizielle Stelle hat sich für ihn interessiert. Ein Trauerspiel. So wäre
es anlässlich des diesjährigen Ortschaftsjubiläums nur zu wünschen, dass
sich verantwortungsbewusste Bürger finden, die den Brunnen in ihre Obhut
nehmen und sich ein Sponsor aufschwingt, dessen dringend gebotene
Restaurierung zu finanzieren.
Gottfried Kormann