110 Jahre elektrische Straßenbahn in Leipzig
- unter besonderer Berücksichtigung der Erschließung von Lützschena -
Seit nunmehr 110 Jahren verkehren auf dem Leipziger Streckennetz elektrische Straßenbahnen. Die Anfänge des öffentlichen Personennahverkehrs und die Einrichtung der Straßenbahn begannen jedoch viel früher.
Innerhalb der engen Stadtgrenzen Leipzigs konnten ab 1703 Sänften genutzt werden. Das waren überdachte Tragsessel, in denen jeweils eine Person von zwei Trägern durch die Stadt bugsiert wurde.
1841 erfolgte die Einführung von Pferdedroschken, Vorläufer der heutigen Taxen. Beide Verkehrsmittel waren allerdings noch nicht für den Massentransport geeignet.
Ab 1860 tauchten in Leipzig Pferdeomnibusse verschiedener privater Unternehmer auf. Diese fassten immerhin schon 24 Personen. Zwei Jahre später dehnten sich die Linien auch in das Umland aus.
Mit der Linie nach Schkeuditz erhielt auch Lützschena seine erste Nahverkehrsverbindung mit Leipzig.
Am 18. Mai 1872 wurde in Leipzig als vierter Stadt des damaligen Deutschen Reiches eine Pferdebahn eröffnet. Den ersten Linien der „Leipziger Pferde-Eisenbahn“ (LPE) nach Reudnitz, Connewitz und um den Promenadenring folgten bald weitere, so z.B. nach Eutritzsch und 1873 nach Gohlis (Möckernsche Straße).
Hier entstand 1883 auch ein Depot der Pferdebahn mit Wagenschuppen und Stallungen.
Die Pferdebahn war ein beliebtes Beförderungsmittel. Im Vergleich zu den auf holprigem Pflaster rumpelnden Fiakern und Omnibussen fuhr die Bahn ruhiger und erschütterungsfrei.
Mit dem fortschreitenden Netzausbau drang die Pferdebahn in immer weitere Vororte vor, zuletzt 1891 nach Möckern, wo sich die Endstelle in der Kernstraße befand.
Ende 1895 verfügte die LPE über 172 Wagen und 1013 Pferde, die Streckenlänge war auf 46 km angewachsen.
Für die aufstrebende Großstadt Leipzig war das jedoch nicht mehr ausreichend. Ein schnelleres Beförderungsmittel mit größerer Kapazität musste her.
In verschiedenen Städten hatten sich bereits elektrische Straßenbahnen bewährt. So kam es 1896 auch in Leipzig zur Einführung dieses neuen Verkehrsmittels.
Damals waren Straßenbahnen noch gewinnbringende Unternehmen, so dass sich gleich zwei Gesellschaften um den Netzausbau bemühten: Die „Große Leipziger Straßenbahn“ (GLSt) übernahm und elektrifizierte das Netz der Pferdebahn und war somit in der Lage, mit ihren blauen Wagen am 17. April 1896 als erste den elektrischen Straßenbahnbetrieb in Leipzig zu eröffnen. Das Nachsehen hatte die „Leipziger Elektrische Straßenbahn“ (LESt), die ja in kurzer Zeit ein völlig neues Netz errichten musste. Sie konnte erst am 20. Mai 1896 ihre ersten (roten) Wagen vom Berliner Bahnhof zum Neumarkt auf die Strecke schicken. Allerdings hatte sie vom Rat der Stadt die Erlaubnis erhalten, das Leipziger Stadtzentrum zu durchfahren. Durfte die Pferdebahn nur im Brühl Gleise verlegen, so konnte man nun mit der „Roten“ die Grimmaische Straße, den Markt sowie Reichs-, Katharinenstraße und Neumarkt erreichen.
Um die Erschließung der Vororte gab es einen erheblichen Konkurrenzkampf. Im Nordwesten beispielsweise brauchte die „Blaue“ nur ihre Strecke von der Kernstraße bis in Höhe des heutigen Straßenbahnmuseums zu verlängern.
Die „Rote“ musste zur Erschließung von Möckern eine eigene Strecke über Eisenacher und Kirschbergstraße verlegen.
Ihre Endstelle befand sich in der Knopstraße vor dem „Anker“.
Die gemeinsame Benutzung von Gleisanlagen war nur auf einer Länge von 500 Metern gestattet.
Überlegungen, auch weit außerhalb der Stadt Leipzig liegende Ortschaften an das Straßenbahnnetz anzuschließen, gab es bereits ab 1897.
Im Jahre 1900 mündete dies schließlich in die Gründung der „Leipziger Außenbahn AG“ (LAAG), deren Betriebsführung die GLSt übernahm. Erste Außenbahnstrecke war die Verbindung von Leipzig nach Wahren, die im gleichen Jahr eröffnet werden konnte. Die Kuppelendstelle befand sich in der Linkelstraße. Den zweiten Bauabschnitt Wahren – Lützschena (Gasthof) konnte man ab
9. Juni 1905 befahren.
Dort war ebenfalls abseits der Hauptstraße, im Radefelder Weg, die Endstelle angelegt worden. (Hat einer der Leser vielleicht Fotos davon?)
Der Weiterbau nach Schkeuditz verzögerte sich wegen Einsprüchen von Grundstücksbesitzern erheblich, so dass im 1909 erbauten Straßenbahnhof Schkeuditz die neuen Außenbahnwagen untätig herumstanden.
Erst am 27. Oktober 1910 konnte die Gesamtstrecke eröffnet werden.
Die Linie war mit einer schachbrettartig schwarz-weiß geteilten Scheibe gekennzeichnet, die wegen ihrer Ähnlichkeit mit „Gütermanns Nähseide“ im Volksmund den Namen „Zwirnsrolle“ erhielt. Für die GLSt hingegen war die Benutzung von Buchstaben typisch (z.B. „G“ nach Gohlis, „M“ nach Möckern) während die LESt ihre Linien mit Zahlen kennzeichnete (nach Möckern z.B. die „4“).
Im Ergebnis der wirtschaftlichen Probleme während des 1. Weltkrieges ging die LESt 1916 in der GLSt auf. 1919 wurde die Gesellschaft in städtisches Eigentum überführt. Lediglich die Außenbahn blieb bis 1951 selbständig.
Die „Große Leipziger Straßenbahn“ führte einen neuen Anstrich der Fahrzeuge (elfenbein mit schwarzen Zierlinien) sowie eine einheitliche Linienkennzeichnung ein. Unrentable Parallelstrecken wurden stillgelegt. Nach Möckern verkehrte nunmehr anstelle der „M“ die Linie 10. Als besonderes Merkmal erhielten alle Linien, die den Hauptbahnhof berührten, eine rot umrandete Linienscheibe.
Während der Inflationszeit musste der Straßenbahnbetrieb erheblich eingeschränkt werden. Auf der Schkeuditzer Linie ruhte vom 17. August 1923 bis zum 28. Februar 1924 der Betrieb ganz.
Interessant ist auch, dass die Außenbahn auf ihren Linien – so auch zwischen Leipzig und Schkeuditz - Postbeförderung durchführte. Gemäß vertraglicher Vereinbarung mit der jeweiligen Postverwaltung wurden Briefbeutel auf der Vorderplattform der Triebwagen mitgenommen. Diese Art der Beförderung soll es noch bis 1984 gegeben haben.
Weiß einer der Leser hierzu vielleicht näheres oder hat Dokumente bzw. Belege dazu?
Mit der wirtschaftlichen Stabilisierung setzte eine umfangreiche Modernisierung der Straßenbahn ein, neue Fahrzeuge wurden beschafft. Ab 1925 verkehrte die neue Linie 11 bis zur heutigen Huygensstraße, Linie 10 wurde 1927 bis zur Schleife Wahren verlängert. Ein Jahr später führte auch die LAAG Liniennummern nach dem Leipziger Schema ein. Zwischen Leipzig Hauptbahnhof und Schkeuditz verkehrte nun für die nächsten acht Jahre die „29“. Am 1. April 1936 fasste die Außenbahn die Linienäste nach Schkeuditz und Markkleeberg-West zusammen.
Die nunmehrige Linie 28 war mit 22,4 km die längste und auch die schnellste Straßenbahnlinie im Leipziger Netz. Auf ihr verkehrten die Mitteleinstieg-Züge mit Niederflurbeiwagen. Auch die Betriebsbezeichnung wechselte in dieser Zeit. Seit 1938 (Einführung des Obus’ als drittes Verkehrsmittel) führen die „Leipziger Verkehrsbetriebe“ (LVB) den öffentlichen Personennahverkehr in Leipzig und der näheren Umgebung durch.
Von den unmittelbaren Kriegsauswirkungen blieb die Außenstrecke nach Schkeuditz weitgehend verschont, so dass der Betrieb nach rund einmonatiger Unterbrechung bereits im Mai 1945 wieder in Gang kam. 1947 wurde die lange Duchmesserlinie 28 wieder geteilt und die Linie 29 kehrte auf die Schkeuditzer Strecke zurück. Auf der Leipziger Seite nutzte sie im Laufe der Jahre verschiedene Endpunkte (Hbf., Südfriedhof, Probstheida, Anger-Crottendorf). Am 10. Juni 1963 verkehrte die „29“ als zweite LVB-Straßenbahnlinie ohne Schaffner, mit Zahlbox. Gleichzeitig erhielt sie die neuen Gotha-Gelenkzüge mit Beiwagen. 1975 wurde die Ortsdurchfahrt in Lützschena zweigleisig ausgebaut.
Dabei verschwanden auch die alten Gleise im Radefelder Weg.
Die 1969 in Leipzig eingeführten Tatra-Wagen waren erst ab Anfang der 1980er Jahre vereinzelt auf der Außenstrecke zu sehen. Mit Fahrplanwechsel 1984 verschwand die Traditionslinie 29. Seither verbindet die Linie 11 die drei Städte Schkeuditz, Leipzig und Markkleeberg (Ost) miteinander. Mit 22,1 km ist sie wieder die längste Straßenbahnlinie im Leipziger Netz.
Auch die Niederflurtechnik kehrte in Form moderner Fahrzeuge (Niederflurgelenkwagen bzw. Niederflurbeiwagen hinter modernisierten Tatrawagen) wieder auf die Strecke zurück.
Rolf-Roland Scholze
AG „Historische Nahverkehrsmittel Leipzig“ e.V.
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