Auenkurier
Januar 2003

   

Herr Mocker übergab dem Heimatverein für das Archiv eine aufschlussreiche Schrift aus dem Jahre 1848. Sie handelt von einer der Stiftungen des Maximilian Ritter Speck Freiherr von Sternburg, der "Kleinkinderbewahranstalt" Lützschena, des historischen Vorläufers unseres heutigen Kinderhauses "Sternchen" Lützschena und der Kindertagesstätte "Sonnenhügel" in Stahmeln.
In einer der nächsten Ausgaben wird eine Beitrag zur Schulgeschichte Lützschenas folgen.

Bericht über die Kleinkinderbewahranstalt zu Lützschena 1848

Das Rittergut Lützschena ( 1 Postmeile von Leipzig an der Strasse nach Halle gelegen) hat, seitdem es (im Jahr 1822) in den Besitz seines gegenwärtigen Gerichtsherrn, Max. v. Speck, Freiherrn v. Sternburg, übergegangen ist, von Jahr zu Jahr an Bewohnern wie an Gebäuden beträchtlich zugenommen, indem die verschiedenen ökonomischen Einrichtungen (Ziegelei, Lagerbierbrauerei, Hopfenbau u.s.w.) sowie die hiesigen herrschaftlichen Parkanlagen vielen Arbeitern aus der Nähe und Ferne fortwährend lohnende Beschäftigung darboten.

So zogen nach und nach nicht wenige fremde Familien in genannten Ort, und mit dieser schnell anwachsenden Bevölkerung vermehrte sich zugleich die Anzahl noch nicht schulfähiger Kinder, welche in Abwesenheit ihrer, ausser dem Hause beschäftigten Aeltern sich selbst überlassen blieben, preisgegeben den mannigfaltigsten Gefahren an Leib und Seele. Diesen möglichst vorzubeugen, war längst der Wunsch des verehrten Mannes, dem Lützschena seine nunmehrige gänzliche Umgestaltung, seine zahlreichen Neubauten, sein freundliches Aussehen, seine landschaftliche Verbesserung durch Ablösungen, Separation u.s.w. - kurz, gleichsam eine neue Aera seines Bestehens verdankt.

Unter seiner besonderen Mitwirkung und Unterstützung wurde hiesigen Orts vor drei Jahren bereits eine neue Schule gegründet, und ein Kirchschullehrer angestellt, damit hinfort nicht mehr, wie es die bisherige dreihundertjährige Schuleinrichtung mit sich brachte, die Lützschenaer Schulkinder die nachbarliche Parochial-Schule zu Hänichen zu besuchen genöthigt wären.

Um nun aber auch einer Anzahl unsrer Kleinsten die wünschenswerthe Zufluchtsstätte in den Monaten der täglichen Abwesenheit ihrer nächsten Angehörigen zu bereiten, gedachte und verhiess unser threuer Gutsherr von seiner Seite alles zu thun, was zur Gründung und Erhaltung einer Kleinkinderbewahr-Anstalt förderlich werden könnte.

Im Vertrauen auf seine dessfallsigen ermuthigenden Aeusserungen , so wie die Erwartung einer zunehmenden Theilnahme der Ortsgemeinde am guten Werke, richteten Gemeindevorstand und Pfarrer unterm 12. Juli 1846 an die H. K. Kreis-Direction zu Leipzig das gehorsamste Gesuch: "Sie möge nicht nur zur Stiftung jener milden Anstalt die erforderliche Genehmigung ertheilen, sondern auch zur ersten Einrichtung derselben und zu ihrer Unterhaltung besondere Beihilfen aus einem, unter Ihrer Verwaltung stehenden (dem Stift Merseburg'schen General-Almosen- und Ueberschuss-) Fonds geneigtes gewähren."

Das hiesige Patrimonial-Gericht, dessen damaliger Director , der bald nachher verewigte Herr Advocat Arthur Buddeus, auch in dieser wichtigen Angelegenheit und seinen so eifrigen als uneigennützigen Beistand widmete, eröffnete uns untern 7. September a.i., "wie die genannteH.K. Behörde sich geneigt erklärt, auf unser Ansuchen einzugehen, sobald sie noch einige nöthige Unterlagen und Nachweisungen erhalten haben würde."

Dem suchten wir mittelst Schreibens vom 3. Juni vorigen Jahres zu genügen, und konnten in denselben zugleich anführen, dass unsre Kleinkinderbewahr-Anstalt bereits am Himmelfahrtsfest d. 13. Mai 1847, unter der wohlwollenden Mitwirkung des Herrn Kirchen- und Schulrath Dr. Schmidt feierlich eingeweihet wurde, und dass man schon nach Verlauf der ersten Wochen seit Aufnahme von 15 Kleinen in die neue Anstalt, die überraschendsten Fortschritte im leiblichen und geistigen Gedeihen dieser Pflegebefohlenen mit Freuden wahrnehme -, wozu allerdings die Wahl der Vorsteherin und Lehrerin in der Person der verwittweten Frau Lieutnant von Schlegell das Meiste beigetragen.

In das Directorium der Anstalt hatte das Vertrauen des Herrn Begründers derselben den Ortsvorstand, Herrn I. G. Krell nebst dessen Frau, den Herrn Oeconomie-Amtmann Hieronymi, die verwittwe Frau Lieutnant Neitzsch, und die dermaligen Inhaber der Pfarr- und Schulämter Herrn E. M. Reichel, und J. C. H. Mocker nebst ihren Frauen berufen; wozu späterhin noch der Amtsnachfolger des vorbenannten Krell, Herrn A. Kielstein, gekommen ist,

Hierauf wurde uns, mittels Patrimonial-Gerichts-Communication vom 12. Juli und 2. October vorigen Jahres die erfolgte Auszahlung von 30 Thalern zur ersten Einrichtung, und einer gleichen Summe, als ersten Jahresbeitrags aus obgedachten Fonds gemeldet.

Die 15 Kinder im Alter von 3 bis 5 Jahren gediehen fortwährend in körperlicher und geistiger Rücksicht bei zweckmässiger Abwartung, weiser Zucht und angemessener Belehrung. Wie hätte nicht die einfache, nahrhafte Kost, verbunden mit zweckmässiger Abwechslung zwischen sorgfältig bemessener Leibesbewegung (im Freien, so oft es die Witterung gestattete) und belehrender Beschäftigung, die Gesundheit der kleinen Pfleglinge stärken und zur glücklichen Entwickelung ihrer Geistes- und Körperkräfte sichtbar beitragen sollen! Mit froher Hast trat das kleine Völkchen am Morgen in die Anstalt ein, lernte beten und singen, lernte Verschen und Sprüche, den Verstand durch Anschauungs-Unterricht üben, Buchstaben und Zahlen sich einprägen, zur Veränderung kleine gymnastische Uebungen (in Bewegung der Hände, im Marschiren u.s.w.) anstellen, Charpie zupfen u.a.m.; worauf ihm seine Mittagskost (Gemüse oder Suppe, mitunter etwas Fleisch) trefflich schmeckte; - hierbei wurden die Kinder zugleich an ein reinliches, genügsames und überhaupt schickliches Essen gewöhnt. Nach einer kurzen Mittagsruhe ward die Schaar wieder in wohlbedachtem Wechsel beschäftiget und unterhalten; und wenn gegen Abend den Kleinen noch ein frugales Vesperbrod gereicht worden war, nahte schnell die Zeit, wo sie unter kindlichen Gesängen munter in ihre Wohnungen zurückkehrten.

So ging es ungestört fort, bis mit dem Spätherbst die Anstalt füglich auf einige Monate geschlossen werden konnte (während welcher indess nicht alle Verbindung mit den Kleinen aufgehoben wurde), weil das Winterhalbjahr der kleinen Familie daheim gewöhnlich eine bessere Pflege und Ueberwachung sichert, als diess im Sommer von Seiten der Angehörigen geschehen kann.

An dieser Stelle erfolgt in der Broschüre die Jahresabrechnung der Finanzen, die der Anstalt zur Verfügung stehen. Am Schlusse des ersten Jahres ihre Bestehens hatte sie ein Vermögen von 171 Thalern 8 Ngr.6 Pf., davon über 162 Thaler in Form von Staatspapieren.




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